Im September 2024 veröffentlichte Mario Draghi, ehemaliger italienischer Ministerpräsident und Präsident der Europäischen Zentralbank, seinen Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union.
Basierend auf den Empfehlungen des Draghi-Berichts sowie den politischen Leitlinien und Mandatsschreiben, die Präsidentin von der Leyen zu Beginn ihrer zweiten Amtszeit abgefasst hatte, kündigte die Kommission, in einem am 11. Februar 2025 veröffentlichten Arbeitsprogramm, eine erste Reihe sogenannter „Omnibus“-Pakete an.
Der Begriff „Omnibus“ bezeichnet dabei einen Rechtsakt, der mehrere bestehende Rechtsvorschriften gleichzeitig ändert oder ergänzt. Absicht dieser gebündelten Gesetzesänderungen ist es, die Umsetzung der EU-Politik effizienter zu gestalten und die EU-Rechtsvorschriften wirksamer zur Anwendung zu bringen, mit dem übergeordneten Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken.
Konkret soll dies durch die drastische Vereinfachung der bestehenden Vorschriften und eine Verringerung des Verwaltungsaufwands bis zum Ende der Amtszeit um die frei gewählten Prozentsätze von mindestens 25 % für alle Unternehmen und für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) um mindestens 35 % geschehen. Die Verschlankungen sollen jährlich 6,3 Milliarden Euro an Verwaltungskosten einsparen und zusätzliche Investitionen in Höhe von 50 Milliarden Euro mobilisieren.
Am 26. Februar 2025 hat die EU-Kommission den Auftakt ihres Arbeitsprogramms für mehrere Omnibus-Pakete gemacht und einen Vorschlag zur umfassenden Überarbeitung bestehender Regulierungsvorgaben vorgelegt. Konkret soll unter anderem folgende Regulatorik vereinfacht und harmonisiert werden:
Innerhalb der festgelegten Fristen müssen die überarbeiteten Richtlinien von den nationalen Gesetzgebern in nationales Recht umgesetzt werden.
Der Begriff „Omnibus-Verordnung“ suggerieren zwar, dass eine nationale Umsetzung nicht nötig ist, tatsächlich werden nur die Richtlinien direkt geändert, deren Umsetzung bleibt weiterhin Aufgabe der Mitgliedstaaten.
Das Omnibus-Paket enthält mehrere Änderungen der CSRD, die darauf abzielen, die Anforderungen verhältnismäßiger zu gestalten und die Umsetzung für Unternehmen spürbar zu erleichtern.
Künftig sollen nur noch Unternehmen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet sein, die:
Wodurch sich die Zahl der Unternehmen, die in den Anwendungsbereich der CSRD fallen, um etwa 80 % verringert.
Die bestehenden Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS Set 1) sollen überarbeitet und vereinfacht werden, um die Anzahl der erforderlichen Datenpunkte zu reduzieren, unklare Definitionen zu klären und die Kohärenz zu verbessern. Dabei sollen quantitative Datenpunkte priorisiert werden. Die Überarbeitung soll spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten der Änderungsrichtlinie zur Vereinfachung des Berichtsrahmens erfolgen.
Die Wesentlichkeitsanalyse soll beibehalten werden, jedoch mit klareren und verständlicheren Vorgaben zur Durchführung, um sicherzustellen, dass ausschließlich wesentliche Informationen berichtet werden müssen.
Große Unternehmen und Konzerne sollen weiterhin nach den ESRS berichten, die geplanten sektorspezifischen Standards werden jedoch vollständig gestrichen. Auch die LSME-Standards, nach denen kapitalmarktorientierte KMU ursprünglich berichten sollten, entfallen, da KMU künftig nicht mehr unter die Berichtspflicht fallen.
Stattdessen will die EU-Kommission einen freiwilligen Standard für kleine und mittlere Unternehmen auf Basis der von der EFRAG entwickelten (Voluntary Standard for SMEs) VSME-Standards im EU-Recht verankern. Dieser soll einerseits eine einfache Berichterstattung ermöglichen und andererseits kleinere Unternehmen in den Wertschöpfungsketten vor übermäßigen Informationsanforderungen durch CSRD-pflichtige Partner schützen.
Künftig sollen berichtspflichtige Unternehmen nur noch Informationen ihrer direkten Lieferanten einbeziehen müssen. Zudem dürfen sie von nicht-berichtspflichtigen Unternehmen nur solche Informationen abfragen, die in dem freiwillig anwendbaren Standard für die Nachhaltigkeitsberichterstattung enthalten sind.
Die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichte bleibt weiterhin verpflichtend, jedoch wird die Prüfung mit begrenzter Sicherheit („limited assurance“) durch Wirtschaftsprüfer dauerhaft beibehalten. Eine ursprünglich geplante Verschärfung auf eine Prüfung mit angemessener Sicherheit („reasonable assurance“) entfällt.
Um Unternehmen mehr Vorbereitungszeit und Rechtssicherheit bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu geben, setzte die EU den „Stop the Clock“-Vorschlag im Eilverfahren um.
Die Stop-the-Clock-Richtlinie verschiebt den erstmaligen Anwendungszeitpunkt für berichtspflichtige Unternehmen um zwei Jahre. Unternehmen der sogenannten Wave 2, die ursprünglich ab dem Geschäftsjahr 2025 unter die CSRD gefallen wären, müssen nun erst für das Geschäftsjahr 2027 berichten und gewinnen damit wertvolle Zeit, um sich auf die neuen Anforderungen vorzubereiten.
In Deutschland befindet sich das Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der CSRD zwar bereits im Bundestag, wurde jedoch noch nicht verabschiedet. Die neue Bundesregierung wird das Gesetz voraussichtlich umfassend überarbeiten und bis Ende 2025 in nationales Recht überführen. Die CSDDD muss spätestens bis zum 6. Juli 2026 in nationales Recht überführt werden.
Für Unternehmen der Wave 1, die im Jahr 2025 über das Geschäftsjahr 2024 berichten müssen, ändert sich nichts.
Da die Überführung der CSRD in nationales Recht für Deutschland noch aussteht, gibt es derzeit für die CSRD-pflichtigen Unternehmen für 2025, die der Wave 2 angehören, keine gesetzliche Grundlage für die Berichterstattung. Im Koalitionsvertrag befürworten CDU, CSU und SPD das Omnibusverfahren sowohl in Bezug auf die CSRD als auch auf die Lieferkettensorgfaltspflicht (CSDDD), die Taxonomie sowie zum CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM). Auch spricht sich die Koalition für eine bürokratiearme Lösung insbesondere für KMU auss.
Besonders unklar ist die Lage für Unternehmen, die sich bereits nach nationalem Recht zur Berichterstattung verpflichtet haben, beispielsweise in Frankreich oder Italien für das Geschäftsjahr 2024. In Deutschland bleibt es mangels Umsetzung der CSRD weiterhin bei der Pflicht zur nicht finanziellen Berichterstattung gemäß § 289b HGB. Dabei können die ESRS-Standards freiwillig ganz oder teilweise angewendet werden.
Zusätzlich sieht der Entwurf der EU-Kommission eine elektronische Berichterstattung vor. Diese wird erst verpflichtend, wenn eine entsprechende Taxonomie verabschiedet wird.
Auch bei der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) plant die EU-Kommission erhebliche Vereinfachungen.
Mit der Stop-the-Clock-Richtlinie wird auch die Umsetzungsfrist der CSDDD für die Mitgliedstaaten um ein Jahr auf Mitte 2027 verschoben. Damit hat die Wave 1 der Unternehmen ein Jahr mehr Zeit.
Die gestaffelte Anwendung der Sorgfaltspflichten gestaltet sich wie folgt:
Für Unternehmen, die in den künftigen Anwendungsbereich der CSRD fallen, sieht der Omnibus-Vorschlag eine freiwillige Taxonomie-Berichterstattung vor. Damit gelten die neuen Schwellenwerte auch hier. Zudem besteht keine automatische CSRD-Verknüpfung mehr, nicht alle CSRD-pflichtigen Unternehmen müssen automatisch die Taxonomie-Vorgaben erfüllen. Dadurch verringert sich die Zahl der Unternehmen, die über ihre Taxonomie-Konformität Bericht erstatten müssen.
Darüber hinaus haben Unternehmen, die bereits Fortschritte in Richtung ihrer Nachhaltigkeitsziele erzielt haben, jedoch noch nicht alle Anforderungen der EU-Taxonomie erfüllen, die Möglichkeit, freiwillig über ihre teilweise Taxonomie-Konformität zu berichten. Auf diese Weise können sie transparent darlegen, welche Maßnahmen sie zur Erreichung der vollständigen Konformität ergriffen haben und welche Fortschritte bereits erzielt wurden. Ein delegierter Rechtsakte zur Festlegung von Standards für den Inhalt und die Gestaltung der jeweiligen Berichterstattung wird ausgearbeitet.
Durch die Einführung einer Wesentlichkeitsschwelle wird der Umfang der Berichterstattung um etwa 70 % reduziert. Zudem werden die „Do No Significant Harm“-Kriterien (DNSH) für die Nachhaltigkeitsbewertung vereinfacht. Darüber hinaus schlägt die Kommission Änderungen an den wichtigsten zentralen Leistungsindikatoren von Finanzinstituten vor, insbesondere an der Quote grüner Vermögenswerte (Green Asset Ratio, GAR) für Banken.
Die Omnibus-Pakete müssen nach ihrer Beratung, Verabschiedung und Veröffentlichung auf EU-Ebene zunächst als Richtlinien erlassen werden. Im Gegensatz zu EU-Verordnungen entfalten sie keine unmittelbare Wirkung, sondern müssen von den einzelnen Mitgliedstaaten erst in nationales Recht umgesetzt werden. Für Unternehmen bedeutet das, dass mit einer unmittelbaren Entlastung noch nicht zu rechnen ist, das bisheriges Regulierungschaos wird fortgeführt.
Für das zweite Quartal 2025 wird die Veröffentlichung weiterer Omnibus-Pakete erwartet. Diese sollen unter anderem den Verwaltungsaufwand für landwirtschaftliche Unternehmen verringern.
Darüber hinaus ist die Einführung einer EU-weit einheitlichen Definition für „Small Mid-Caps“, kleinere börsennotierte Unternehmen mit geringer Marktkapitalisierung, vorgesehen. Für diese Unternehmen sollen zudem Ausnahmen von bestimmten Berichts- und Compliance-Pflichten geschaffen werden
Ergänzend könnten auch Erleichterungen bei der Anwendung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) für kleine und mittlere Unternehmen Teil eines Pakets sein.
Auch wenn viele Unternehmen formal nicht mehr berichtspflichtig sind, heißt das nicht, dass sie sich den Anforderungen entziehen können. Unternehmen werden zunehmend nicht nur von Aufsichtsbehörden, sondern auch von verschiedenen Stakeholdern hinsichtlich ihrer Umwelt-, Sozial- und Governance-Leistungen (ESG) überprüft und bewertet. Investoren, Kreditinstitute, Verbraucher, Regulierungen und internationale Handelsvorschriften erfordern weiterhin Nachhaltigkeitsinformationen. ESG-Maßnahmen wirken auch ohne Bericht und bringen einen strategischen Wettbewerbsvorteil. CO2-Reduktion, Lieferantenscreenings oder soziale Standards stärken das operative Geschäft, reduzieren Risiken und führen zu Kosteneinsparungen.
Vera Töpfer | Health-Safety-Environment
Trotz anhaltender Unsicherheiten, setzten Sie sich weiterhin aktiv mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung auseinander. Der Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft wird nicht grundsätzlich infrage gestellt. Die Omnibus-Verordnung verschiebt Fristen, nicht die Richtung.
Die geplanten Entlastungen bieten die Chance, ESG-Themen strategisch, statt nur reaktiv anzugehen. Nutzen Sie diesen Spielraum, um tragfähige Nachhaltigkeitsstrukturen aufzubauen, mit Fokus auf langfristiger Wirkung statt kurzfristiger Compliance. Bestehende Systeme wie ISO-Managementstandards, Prozesse im Umwelt- und Arbeitsschutz oder aus dem Personalwesen bieten hierfür eine solide Basis. Integrieren Sie diese gezielt in Ihr Nachhaltigkeitsmanagement. Zudem lohnt sich ein Blick auf die freiwilligen Berichtsstandards für KMU (VSME).
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