Gefahrgut

Digitalisierung im Gefahrgutrecht – Fortschritt mit Hindernissen

Digitalisierung im Gefahrgutrecht bietet großes Potenzial, bleibt aber hinter den Erwartungen zurück. Warum erschweren aktuelle Regelwerke digitale Lösungen? Wie können einheitliche Datenformate und zentrale Informationsquellen helfen, Sicherheit und Effizienz zu steigern? Nur mit mutigen Ideen kann das Gefahrgutrecht zur Blaupause für andere Bereiche werden und nicht zum digitalen Nachzügler.

7 Min.

20.05.2025

Fachkräftemangel, Kostendruck, Generationswechsel: Unternehmen stehen unter massivem Veränderungsdruck. Digitalisierung ist längst keine Frage des „Ob“ mehr, sondern des „Wie schnell“. Auch im Gefahrgutbereich ist der Handlungsbedarf groß, besonders wenn es um sichere Informationsflüsse entlang komplexer Lieferketten geht. Doch ausgerechnet dort, wo Sicherheit höchste Priorität haben sollte, ist der digitale Fortschritt ins Stocken geraten.

Elektronisches Beförderungspapier – gute Idee, schlechte Umsetzung

Seit dem 1. Januar 2016 ist in Deutschland die Nutzung eines elektronischen Beförderungspapiers möglich, wenn entsprechende Daten auf einem dedizierten Server (sog. TP2) hinterlegt worden sind, auf den berechtigte Behördenstellen Zugriff haben (Näheres zu Anforderungen und Ausgestaltung in Kap. 5.4.0.2 ADR). Theoretisch ein Meilenstein. Praktisch fristet die digitale Alternative bis heute ein Nischendasein. Auch nur wenige ADR-Staaten sind dabei entsprechende Infrastrukturen aufzubauen.

Der ursprüngliche Zweck des Beförderungspapiers wurde dabei ganz nebenbei auf den Kopf gestellt: Sinn und Zweck des Beförderungspapiers im Gefahrgutrecht bestand und besteht darin, alle am Transport Beteiligten zuverlässig über Art, Menge und Eigenschaften des gefährlichen Gutes zu informieren, damit diese ihre jeweiligen Pflichten korrekt erfüllen und einen sicheren, unfallfreien Transport gewährleisten – inklusive aller vor- und nachgelagerten Prozesse.

Derzeit dient das digitale Dokument fast ausschließlich der erleichterten Kontrolle durch Behörden.

Im Gegensatz dazu hat das Department for Transport (UK) im November 2023 in einer Guidance das elektronische Mitführen eines Beförderungspapiers erlaubt. Die Kontrolle der Daten erfolgt allerdings immer noch ganz herkömmlich wie bei papierenen Dokumenten auf einem elektronischen Gerät am Fahrzeug. Es gibt keine elektronische Vorabübermittlung an eine zentrale Stelle.

Was Digitalisierung im Gefahrgutrecht leisten sollte

Digitale Lösungen bieten die Chance, Arbeitsprozesse zu vereinfachen, Fehlerquellen zu eliminieren und Kosten zu senken. Doch dazu braucht es mehr. Es braucht strukturierte, standardisierte Austauschformate, die interoperabel sind. So lassen sich Informationen automatisiert übertragen, validieren und weiterverarbeiten – ohne Medienbruch, ohne Risiko.

Dass Fehler in analogen Prozessen fatale Folgen haben können, zeigt das Beispiel MSC Flaminia. Mit der Digitalisierung wäre auch hier die inhaltliche Validierung der übermittelten Daten einfacher möglich gewesen.

Aus meiner Sicht wäre ein vom Gesetzgeber definiertes und verbindlich gemachtes, einfaches Datenaustauschformat, auf das sich alle Beteiligten einstellen können, zielführend. Ähnlich der „elektronischen Rechnung“ könnte zukünftig der Zwang zur Bereitstellung eines digitalen Datensatzes die Automatisierung des Informationsflusses zwischen den Transportbeteiligten voranbringen und damit ganz erheblich zu mehr Sicherheit beitragen.

Aber das digitale Beförderungspapier allein ist noch lange nicht die Lösung für die anstehenden Herausforderungen.

Gesetzgebung im analogen Tunnel

Alle Tätigkeiten werden derzeit auf Digitalisierbarkeit überprüft, um diese möglichst schnell mit Unterstützung durch KI zu automatisieren. Dies beginnt bei der Einstufung bzw. Klassifizierung der Güter, der Zuordnung von Markierung und Kennzeichnung, über die Auswahl der zulässigen Verpackungen und endet ggfls. bei Checklisten für die Beladung etc.

Aber was ist mit der Gesetzgebung? Die größte Hürde auf dem Weg zur digitalen Gefahrgutwelt sind oft die Vorschriften selbst. Viele Regelungen stammen aus einer Zeit, in der man Formulare faxte und Etiketten von Hand klebte. Für eine digitale Zukunft braucht es deshalb ein neues Denken in den gesetzgebenden Gremien:

Alle Anträge und Vorschriftenänderungen sollten in den zuständigen Gremien auf ihre Notwendigkeit und ihren Impact auf die Digitalisierbarkeit geprüft werden. Jede Regeländerung hat Auswirkungen auf genutzte Software und kann zu erheblichen Kosten führen.

  • Überprüfung zukünftiger Regeln auf die Umsetzbarkeit in punkto Digitalisierung und Automatisierung. Ansonsten sollten sie umformuliert oder weggelassen werden (auch bestehende).
  • Logische Strukturen statt Fließtext: Entscheidungsbäume und grafische Darstellungen erleichtern die Nachvollziehbarkeit und die Digitalisierbarkeit.
  • Keine technischen Implementierungsvorgaben. Die Analogie zum digitalen Produktpass zeigt, wie es besser geht.
  • Vorschriften der Zukunft müssen einfach, logisch und transparent sein.

Gesetze auf dem Smartphone – warum nicht?

Die Generation „App“ erwartet intuitive, digitale Zugänge – auch zu Rechtsvorschriften. Die Gefahrgutregelwerke hingegen sind oft teuer, unübersichtlich und schwer zugänglich. Dabei wäre es ein Leichtes, digitale Texte mit Änderungshistorien, Suchfunktionen und Querverweisen zu versehen, wie es in anderen Bereichen (IATA-DGR) teilweise längst Standard ist.

Ein Anfang wäre die kostenlose digitale Bereitstellung der Vorschriften für alle Verkehrsträger. Transparenz und Zugänglichkeit sind kein Luxus, sondern Voraussetzung für Sicherheit.

Daten statt Papier – wo echter Mehrwert entsteht

Ein besonders klares Beispiel für das Potenzial der Digitalisierung liefert Kapitel 3 des ADR: das Verzeichnis der gefährlichen Güter. Noch immer übertragen Unternehmen diese Daten manuell in ihre Systeme. Ein Aufwand, der nicht nur ineffizient, sondern auch fehleranfällig ist.

Dabei liegen die Daten längst digital bei den zuständigen Gremien oder dem Gesetzgeber vor. Warum also nicht eine zentrale, maschinenlesbare Quelle (z.B. bei UN) schaffen, auf die alle zugreifen können? Dies führt nicht nur zu einer erheblichen Einsparung von Personal an verschiedensten Stellen, sondern es gäbe auch so etwas wie eine „Single Source of Truth“, auf den sich der Rechtsunterworfene berufen könnte. Die Ausgestaltung so einer Quelle, z. B. hinsichtlich der korrekten Übersetzungen von notwendigen Fachbegriffen etc., ist dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Deutschland ist leider einen Schritt rückwärtsgegangen: Die zentrale und seit Jahren für die Rechtsunterworfenen nutzbare und anerkannte Gefahrgut-Datenbank der BAM ist zum Jahreswechsel eingestellt worden. Gerade dort hätte eine moderne Plattform entstehen können.

Neue Player, neue Probleme – global denken, digital handeln

In einer globalisierten Welt verschieben sich die Risiken: Die wachsende Zahl von kleinen Internetshops versendet auf dem Luftweg auch eine Vielzahl von chemischen Produkten quer über den Globus – oftmals ohne jegliches regulatorische Wissen. Fachkenntnis über Gefahrgut, wo schon ein IATA-Buch über 300,- $ jährlich kostet? Fehlanzeige. Schulungen? Nicht vorhanden. Wie können wir diese Gruppe von Versendern erreichen und sie mit dem notwendigen Bewusstsein und Handwerkszeug für eine sichere Versendung sorgen?

Weitere Ideen zur Digitalisierung sind gefragt

Selbst erfahrene Expert*innen scheitern ab und zu an so einfachen Dingen wie der Überprüfung von Verpackungszulassungen, da teilweise in den Herstellungsländern keine ansprechbaren Behörden existieren, die die Rechtmäßigkeit eines Hersteller-Codes bestätigen können.

Eine digitale Lösung könnte so einfach sein, z. B. durch ein Portal bei UN zur Registrierung von Verpackungsherstellern, um weltweit gültige Verpackungscodes validieren zu können.

Ulf Inzelmann | Experte für Gefahrgut und Geschäftsleitung

Unsere Empfehlung

Der Gefahrgutbereich ist vergleichsweise übersichtlich – noch. Die Anforderungen an Produktsicherheit und Nachhaltigkeit wachsen rapide. Ohne digitale Schnittstellen, standardisierte Daten und intelligente Vorschriften wird das System kollabieren.

Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie ist das Werkzeug, um Sicherheit in einer komplexen Welt zu gewährleisten. Was es jetzt braucht: Mutige Gesetzgeber, offene Daten, klare digitale Standards. Nur so kann das Gefahrgutrecht zur Blaupause für andere Bereiche werden und nicht zum digitalen Nachzügler.

Als Gefahrgutbeauftragte haben wir bei unserer Tätigkeit auf die zunehmend digitalen Prozesse ein besonderes Augenmerk. Darüber hinaus sind wir Ihr kompetenter Ansprechpartner bezüglich aller gefahrgutrechtlichen Pflichten und Verantwortlichkeiten – von der ersten Bestandsaufnahme bis zur Schulung Ihrer Mitarbeitenden.

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